Erste Hilfe für soziale Brennpunkte
1994 wurde der „Soziale Mieterdienst“ ins Leben gerufen. Zu seinen vielfältigen Aufgaben gehörte es, soziale Spannungen in sogenannten Problemsiedlungen abzubauen.
Anfang der 1990er Jahre herrschte eine besondere Situation auf dem Wohnungsmarkt. Zum einen stagnierte der Zuzug von Aus- und Übersiedlern infolge der Grenzöffnungen nach Osteuropa, zum anderen gab es vermehrt Probleme bei Neu- und Wiedervermietungen. Das galt vor allem für die Großsiedlungen aus den 1960er und 1970er Jahren, von denen sich einige zu sozialen Brennpunkten entwickelt hatten. Daher lehnten es viele potenzielle Mieterinnen und Mieter ab, dort zu wohnen. Gleichzeitig wurden die in den Siedlungen lebenden Menschen häufig als „Asoziale“ stigmatisiert. Mit verschiedenen Maßnahmen versuchte die Nassauische Heimstätte die Wohnqualität in den betroffenen Quartieren zu verbessern. Sichtbares Zeichen war die Gründung des Sozialen Mieterdienstes. „Wir waren die Feuerwehr, wenn es Schwierigkeiten in einer Siedlung gab. Meistens ging es dabei um Konfliktmanagement“, erinnert sich Jens Bersch, der heute Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei der NHW ist. „Oftmals reichte bereits ein ruhiges Gespräch, damit sich die Ängste von Mietern legten und Nachbarn wieder miteinander redeten.“
Bereichsübergreifende Zusammenarbeit
Bersch kam 1995 zum Sozialen Mieterdienst, der bis dahin nur aus Benedikt Schwaderlapp bestanden hatte. Gemeinsam mit dem kulturellen Mieterdienst Wohnen & Leben e.V. sollte das nachbarschaftliche Miteinander in den Siedlungen nachhaltig gestärkt werden. Der gemeinnützige Verein, der im Wesentlichen aus der Vertretern der Nassauischen Heimstätte und anderer Wohnungsgesellschaften bestand, hatte bereits seit den frühen 1960er Jahren kulturelle Angebote wie Bildungsreisen, Konzerte, Lesungen, Kino und Theater auch für ärmere Mieter:innen zugänglich gemacht. „Die vorgegebenen Ziele für den Sozialen Mieterdienst waren hochgesteckt“, sagt Bersch. „So sollten wir neben dem Abbau sozialer Spannungen eine höhere Identifikation der Mieterinnen und Mieter mit ihrem Wohnumfeld erreichen, die Mieterfluktuation eindämmen und dabei eng mit den zuständigen Verwaltungsstellen sowie kirchlichen und öffentlichen Einrichtungen zusammenarbeiten. Das war eine Menge Arbeit!“
Politisches Engagement gefragt
Neben den sozialen Aspekten gab es auch eine politische Motivation, die zur Entstehung des Sozialen Mieterdienstes führte. So war die Wahlbeteiligung in Siedlungen mit sozialem Brennpunkt in den 1990er Jahren extrem niedrig. Zudem wurden dort vermehrt die rechtsradikalen Republikaner gewählt. „Nicht zuletzt war der damalige Geschäftsführer Reinhard Chr. Bartholomäi als studierter Soziologe der Meinung, dass sich ein großes Wohnungsunternehmen auch um die politische Bildung seiner Mieterinnen und Mieter kümmern sollte“, ergänzt Bersch. Er selbst war als Mitglied des Vereins Carpe Diem, der Bildungsarbeit und sozialwissenschaftliche Beratung machte, durch seine Arbeit in Kontakt mit der Nassauischen Heimstätte gekommen. Dort lernte Bersch auch seine spätere Frau Angela Reisert-Bersch kennen, die als Geschäftsstellenleiterin von Wohnen & Leben an seinem Vorstellungsgespräch teilnahm. Heute ist sie Leiterin des Sozialmanagements der NHW. „Mich für den Sozialen Mieterdienst zu bewerben, war aus beruflichen wie aus persönlichen Gründen die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt Bersch mit einem Schmunzeln.
Viele Erfolgsstorys
Bei seiner Arbeit kooperierte der Soziale Mieterdienst eng mit den örtlichen Hausverwaltungen, Behörden, Verbänden und Vereinen sowie anderen Wohnungsunternehmen. Ein schönes Beispiel ist ein Projekt, das gemeinsam mit dem städtischen Sozialdienst und dem Internationalen Bund (IB) in der Lohwald-Siedlung in Offenbach durchgeführt wurde. Dort erhielten Jugendliche ohne Schulabschluss oder Ausbildungsplatz im berufsvorbereitenden Projekt T.E.A.M. eine Malerausbildung. Eine weitere Erfolgsstory war die erste Mieterbeiratswahl in der Otto-Brenner-Siedlung in Sossenheim. Diese entstand durch eine Initiative der Mieter:innen vor Ort. „Mit der Erstellung einer Mieterbeiratssatzung und Wahlordnung schufen wir die Grundlage für weitere Mieterbeiräte in den anderen Siedlungen“, sagt Bersch nicht ohne Stolz. „Es war einfach schön zu sehen, dass Projekte, die man mit Akteuren anstieß, Früchte trugen.“ Dazu gehörte auch eine Initiative des Vereins Carl und Carla, der von Bewohner:innen der Carl-Sonnenschein-Siedlung gegründet worden war. „Die Idee war ein selbstverwaltetes Container-Projekt als Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, um deren Situation in der Siedlung zu verbessern. Das war nicht nur sehr erfolgreich, sondern auch das erste Mal, dass wir eine solches Projekt unterstützt haben“, erinnert sich Bersch.
Die Nachbarschaft stärken
Oftmals waren Bersch und Schwaderlapp auch außerhalb der normalen Geschäftszeiten unterwegs, zum Beispiel, wenn es Ärger in der Nachbarschaft gab. Doch nicht alle Einsätze verliefen erfolgreich. „Einmal fuhr ich aufgrund einer Beschwerde wegen Ruhestörung abends in die Ahornstraße nach Griesheim und lauschte in einer leerstehenden Wohnung, ob der betreffende Mieter in der Wohnung darüber Lärm machte“, erinnert sich Bersch. „Ich habe jedoch nichts gehört. Auch solche Aktionen gehörten zum Job.“ Doch meistens war die Arbeit des Sozialen Mieterdienstes von Erfolg gekrönt. So gelang es beispielsweise, in Zusammenarbeit mit dem Ortsbeirat in der Taunusblick-Siedlung in Zeilsheim einen Streetworker zu installieren. Und in der Siedlung Engelsruhe in Unterliederbach – auch bekannt unter dem Namen Papageiensiedlung– entstanden konkrete Anlaufstellen für Jugendliche. „Um die Nachbarschaft zu stärken, haben wir gemeinsam mit dem Sozialen Mieterdienst zahlreiche Mieterfeste organisiert“, ergänzt Reisert-Bersch. Ebenfalls auf das Konto des Sozialen Mieterdienstes ging eine Kooperation mit der Werkstatt Frankfurt bei einem Beschäftigungsprojekt für Langzeitarbeitslose. Bersch: „Das war die Geburtsstunde der Haus- und Siedlungsbetreuer. Ihr Aufgabenspektrum hat sich erheblich erweitert. Sie sind heute die ersten Ansprechpartner für Mieterinnen und Mieter vor Ort.“
2006 wurden der Soziale Mieterdienst und der Verein Wohnen und Leben in den neuen Fachbereich Sozialmanagement integriert – eine logische Konsequenz aus der langjährigen Zusammenarbeit beider Dienste. „Das Sozialmanagement bekam dadurch mehr Mitarbeitende und erhielt ein eigenes Budget, was beim Verein nie der Fall gewesen war“, beschreibt Reisert-Bersch die Vorteile der Fusion. Ihr Mann war zu diesem Zeitpunkt bereits seit vier Jahren hauptberuflich im Betriebsrat der NHW tätig und kümmerte sich um die Rechte und Belange der Mitarbeitenden. Damit blieb auch er in gewisser Weise seinem alten Aufgabengebiet treu.