Der ehemalige Starkenburgring und der Start der Integrierten Stadtentwicklung
Ab 1999 krempelt sie das Problemquartier Starkenburgring in Dietzenbach um: Marion Schmitz-Stadtfeld, Leiterin Integrierte Stadtentwicklung, erinnert sich im Interview, wie sie Hessens erstes Projekt im Programm "Soziale Stadt" und eines der ersten Integrierten Handlungskonzepte umgesetzt hat.
Das Projekt Dietzenbach war eine beachtliche Pionierleistung. An welchen Stellen mussten Sie Neuland betreten und bspw. neue Vorgehensweisen entwickeln?
Wir haben absolutes Neuland betreten und dieser Mut war auch dringend notwendig. Der Starkenburgring galt damals als einer der zehn größten sozialen Brennpunkte des Landes. Das integriertes Arbeiten, neudeutsch für Arbeiten im interdisziplinären Team, musste in die Praxis transferiert werden. Theorien dazu gab es in der Soziologie und der Stadtentwicklung seit den 1970er Jahren, umgesetzt hatte diese jedoch kaum jemand. Ich habe mich damals auch an der amerikanischen Migrationsforschung orientiert, dort wurden Migrationsströme in der Stadtplanung bewusst stadtplanerisch in Enklaven wie Little Italy oder China Town gelenkt. Es musste eine Entscheidung fallen, Segregation oder Integration. Damals haben wir uns aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Integration, also für die gegenseitige Durchdringung entschieden.
Heute nach 20 Jahren Arbeit im Tätigkeitsfeld Stadtentwicklung und Migration glaube ich, dass Ankunftsorte wie das Spessartviertel (ehemals Starkenburgring) in unserer Gesellschaft ihre Berechtigung hatten und haben und dass man gnädiger oder dankbarer mit ihnen umgehen sollte. Sie sind niedrigschwellige Einstiegsorte, nach Doug Saunders Ankunftsorte in unsere Gesellschaft - und zwar für Menschen, die wir in unserer Gesellschaft brauchen und die Teil von uns geworden sind. Damals stand ein Soziologe, der Leitende Geschäftsführer Reinhart C. Bartholomäi, an der Spitze der Nassauischen Heimstätte. Noch vor der Jahrtausendwende begann er, das Unternehmen in das Thema Nachhaltigkeit zu führen, sehr früh für die Branche. In der Nassauische Heimstätte - Gesellschaft für innovative Projekte im Wohnungsbau, kurz nhgip, durften eine Hand voll Leute dieses Thema anwenden und ausprobieren. Der ehemalige Starkenburgring war sozusagen das Labor Hessens für die „Soziale Stadt“ – schwieriger konnte es nicht mehr kommen und wer, wenn nicht wir, hätte dieses Thema bearbeiten können.
Heute nach 20 Jahren Arbeit im Tätigkeitsfeld Stadtentwicklung und Migration glaube ich, dass Ankunftsorte wie das Spessartviertel (ehemals Starkenburgring) in unserer Gesellschaft ihre Berechtigung hatten und haben und dass man gnädiger oder dankbarer mit ihnen umgehen sollte. Sie sind niedrigschwellige Einstiegsorte, nach Doug Saunders Ankunftsorte in unsere Gesellschaft - und zwar für Menschen, die wir in unserer Gesellschaft brauchen und die Teil von uns geworden sind.
Ihr Programmansatz war höchst integrierend und reichte von den Briefkastenanlagen bis zur Arbeitsgelegenheit für Langzeitarbeitslose. Warum so breit gefächert?
Zunächst bedurfte es einiger dringender technischer Maßnahmen, so war zum Teil die Postzustellung aufgrund defekter Briefkastenanlagen nicht mehr möglich, Einschulungsunterlagen für Kinder erreichten die Familien zum Beispiel nicht. Ordnungssysteme im Hausinneren zu schaffen, die Sicherheit der Aufzüge herzustellen, Adressbildung, ein Zuhause-Gefühl von auch für fast bis 1.500 Kinder, die dort lebten, waren meine wichtigsten Fokuspunkte. Dass man dann diese Maßnahmen wie das Streichen von 68 Fluren oder das Gestalten von 35.000 Quadratmetern Außenfläche mit Menschen verbindet, die Arbeit oder Aufgaben brauchen, liegt auf der Hand. Im Programm konnte ich mich mehrdimensional austoben. Das hat zwar unheimlich viel Kraft gekostet, war aber auch eine unglaubliche Herausforderung, die meine Geschäftsführung mir zurecht zutraute und vom Land Hessen unterstützt wurde. Ich habe dann auch den von mir sehr verehrten, ehemaligen Innenminister Horst Winterstein an meine Seite bekommen - ein intellektueller- und gleichzeitig hemdsärmeliger Mensch, der die Aufgaben sehr ernst genommen hat und dabei unglaublich unprätentiös war. Von ihm durfte ich viel lernen und ohne ihn hätte ich den Weg nicht gehen können.
Wurden die gesetzten Ziele erreicht? Hat der "Integrationsmotor" funktioniert?
Vor einem halben Jahr habe ich das Spessartviertel zum letzten Mal besucht, vieles hat sich verändert, besonders aber hat mich beeindruckt, wie sehr die Menschen dort die Maßnahmen pflegen, die wir vor 20 Jahren umgesetzt haben. Gott sei Dank hat sich auch das Projektionsverhalten derer, die mit dem Finger auf den Standort zeigten, verändert.
Ein großes Problem in Dietzenbach war das Heer von Eigentümern. Wir haben die Nassauische Heimstätte damals dazu bewegen können 100 Wohnungen zu kaufen, damit gab es dann 600 plus einen Eigentümer mit 100 Wohnungen. Die Einstimmigkeit herzustellen war eine der schwierigsten Aufgaben meines Berufslebens, dazu haben wir Tag und Nacht hunderte Einzelgespräche geführt und es tatsächlich geschafft. Überzeugen konnten wir mit unserem Konzept, dem betriebswirtschaftlichen Vorteil, den die Maßnahmen den Eigentümern bringen. Mehr verstetigen konnte man kaum noch, all die vielen hundert Maßnahmen und selbstragenden Projekte, aber last but not least einen Miteigentümer wie die NHW zu gewinnen und damit operativ eine ebenso ambitionierte Kundenbetreuerin wie Frau Klein ins Team zu holen.
Sind zehn Jahre Förderung aus Ihrer Sicht für ein derartiges Projekt wirklich genug?
Meine Nachfolger, darunter Projektleiter und Mitarbeiter Jan Thielmann, haben nach mir viele überaus erfolgreiche Sport,- Bildungs- und soziale Projekte aufgelegt. Das tat Not, denn ich hatte mich fast ausschließlich auf die technischen Investitionen konzentriert, aber an vielen Ecken und Kanten den Grundstein parallel für die soziale Dimension gelegt. Bürger und Politik scheinen oft nicht zu erkennen, dass, wenn die soziale Dimension im technischen Kontext nicht funktioniert, dies volkswirtschaftlich immens zu Buche schlägt. Jan Thielmann hat mein Projekt zu Ende geführt. Fast 15 Jahre waren dafür ausreichend, die Menschen dort sind ja nicht dauerprogrammabhängig.
Gibt es ein Ereignis oder Ergebnis, das Sie im Zuge dieses vielschichtigen Projekts besonders berührt oder überrascht hat?
Ja, viele sogar. Ich erinnere mich, dass ich bei meinem ersten kleinen Projekt, einer Außenflächengestaltung der angrenzenden Kita, viele Eltern, vor allem Mütter, zum Mitwirken bewegen konnte. Ich musste eher schmunzeln, als ich muslimische Frauen mit Hidschab sah, die Zigarettenkippe im Mundwinkel, beherzt den Spaten in den Boden schaufelnd. Das war auch für mich ein Bild, das den gesellschaftlichen Projektionen auf die muslimische Frau nicht entsprach. Dann die Kinder der Roma Familien: Es gab auch viele negative Projektionen auf sie. Viele von ihnen haben die Außenanlagen mit umgebaut, es war sehr berührend zu sehen, wie sehr sie aufgeblüht sind. Allerdings waren es auch die Roma, aber Erwachsene, die bei einer Führung des Verbandes der Wohnungswirtschaft, einer wichtigen Delegation, der ich stolz meine Ergebnisse zeigte, zwei riesige Schweine auf einem Holzgrill in den Freianlagen grillten. Also manchmal wusste ich nicht, ob ich weinen oder lachen sollte.
Sie haben für Ihre Arbeiten in Dietzenbach eine Reihe von Auszeichnungen erhalten. Hat dies evtl. auch zu ähnlichen Folgeaufträgen geführt?
Auszeichnungen sind immer gut, sie bestätigen uns unsere Leistung. Viele dachten dann: Wer Dietzenbach geschafft hat, schafft einfachere Standorte erst recht. Die Soziale Stadt ist ein wichtiges Geschäftsfeld unseres Unternehmens und der Stadtentwicklung geworden, bis heute leitet man aus dieser Grundlagenarbeit der Stadtentwicklung methodisch immer mehr auch die Quartiersentwicklungen in unseren Wohnungsbeständen ab. Um die Jahrtausendwende hielt man mich für eine Sozialromantikerin, weil bereits das Adjektiv „sozial“ in einem Investitionsprogramm zu Fehlprojektionen führte. Ich habe aber natürlich immer für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gearbeitet. Die Soziale Stadt, die für Hessen in Dietzenbach startete, war eine verspätete Verwaltungsreform in den Kommunen. Endlich musste damit begonnen werden, dezernatsübergreifend zu denken und zu arbeiten. Das Programm hat dies als erstes seiner Art in der Bundesrepublik an ihren „Ankunftsorten“ sehr galant eingeführt, alle anderen Programme sind dem gefolgt und auch integrierte Programme geworden - von Lebendige Zentren über Stadtumbau bis zur Leipzig Charta für Europa. Was die Ankunftsorte unserer Gesellschaft angeht, war es immer schon so, dass der Rand die Mitte hält und dass es ihn geben muss. Aber die Mitte muss auch den Rand halten.