Als Prinz Charles den Hessischen Hof wachküsste
Manchmal braucht es einen Prinzen zum Wachküssen. In Treffurt an der Thüringer Grenze zu Hessen ist dieser Satz wahr geworden. Der Prinz ist der britische Thronfolger Charles, und wachgeküsst wurde ein über 400 Jahre altes Fachwerkhaus.
Treffurt begeistert durch seine liebevoll restaurierte Altstadt. Am Fuße der Burg Normannstein aber steht eine Fachwerkruine, deren Abriss schon besiegelt war: Der Hessische Hof, erbaut um 1600, ist ein mächtiger ehemaliger Amtshof. Dass in Treffurt gleich drei solche Bauten stehen, ist eine historische Besonderheit. Im 14. Jh. war die Stadt als sogenannte Ganerbschaft unter Hessen-Kassel, Kursachsen und Kurmainz aufgeteilt. Lange wurde sie von Burg Normannstein aus regiert, doch dann bauten sich die Amtsherren dicht an dicht Wohn- und Amtssitze: den Hessischen, den Sächsischen und den Mainzer Hof. Sie alle existieren noch, doch viele Nebengebäude sind verschwunden.
Nachdem der Hessische Hof 1736 als Amtssitz ausgedient hatte, wurde er landwirtschaftlich und dann, bis in die Wendezeit, als Wohnraum genutzt. Seitdem verfällt er. 2014 musste man sogar den Einsturz befürchten. Ein Gutachter befand, dass eine Sanierung wirtschaftlich nicht tragfähig sei, also erwarb die Stadt 2016 den Hessischen Hof und beantragte den Abriss, den die Denkmalbehörde schließlich genehmigte. Nur durch Zufall kam es anders: Ein britischer Radtourist suchte kurz darauf in einem Treffurter Geschäft Schutz vor Regen und las dort von der Abrissgenehmigung. Prompt suchte der Mann Bürgermeister Michael Reinz auf und berichtete von der englischen Stiftung "Save Europe’s Heritage", die sich der Rettung denkmalgeschützter Gebäude in Europa widmet. Der Bürgermeister reagierte: "Wir haben den Abriss mehrfach verschoben." Der Kontakt zu Save kam zustande, und dort erstellte man ein zweites Gutachten, das den Hof als sanierungsfähig einstufte. Im Frühjahr 2018 informierte die Stiftung dann das britische Königshaus – die früheren Herren des Hessischen Hofes sind mit der britischen Krone verwandt. "Wir konnten zuerst nicht glauben, dass das dem Hessischen Hof dienen könnte", berichtet Bürgermeister Reinz.
Kurz darauf aber kam Post von Prinz Charles, der für den 25. Mai 2018 nach London einlud. Begleitet wurden Bürgermeister Reinz und Mitglieder der Fraktionen des Treffurter Stadtrates vom thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, vom Landgrafen von Hessen und von Sanierungsfachleuten. Während der Reise kam die Idee auf, aus dem Hessischen Hof ein internationales Bildungsprojekt für Handwerker zu machen, um den denkmalgerechten Umgang mit Baudenkmalen zu lehren. Dies gefiel den Gastgebern. Die von Prince Charles gegründete Prince's Foundation residiert im schottischen Dumfries House, das eine ähnliche Funktion hat, und so lud der Prinz die Treffurter ein, es bei einem weiteren Besuch zu besichtigen. Der Stein kam ins Rollen. Dabei half auch ein Gespräch zwischen Bürgermeister und Thronfolger anlässlich des Geburtstages der britischen Königin in der Berliner Botschaft.
Durch Prince Charles‘ Interesse geriet der Hessische Hof ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, und es half der Stadt, Kontakte zu knüpfen, zum Beispiel zur Handwerkskammer Südthüringen, die das Projekt seitdem unterstützt. Viele Treffurter wurden ebenfalls aktiv und gründeten einen Förderverein, und zwei Symposien erkundeten die Zukunftschancen des Hessischen Hofes.
Dann kamen die ersten Erfolge. In Zusammenarbeit mit der ProjektStadt, die die Stadt seit 1992 als Sanierungsträger begleitet, nahm Treffurt am Bundeswettbewerb "Europäische Stadt: Wandel & Werte – Erfolgreiche Entwicklung aus dem Bestand" teil und bekam für sein Nutzungskonzept den ersten Preis in der Kategorie Stadtgebäude. Es sollte noch besser kommen: Nachdem in den Jahren zuvor lediglich kleinere Summen zur Notsicherung oder für ein Modernisierungsgutachten zur Verfügung standen, ist der Hessische Hof inzwischen Teil des Bund-Länder-Programms Stadtumbau, sodass eine weitere Million Euro in die Bausicherung fließen. "Das ist eine 100-Prozent-Förderung, die Stadt Treffurt muss keinen Eigenanteil beisteuern", betont Alice Dinger, Projektleiterin der ProjektStadt. Da der ebenfalls im Besitz der Stadt befindliche Mainzer Hof bereits früher Mittel aus dem Programm erhielt, stehen nun für beide Gebäude über 1,5 Mio. Euro zur Verfügung. Aufträge für die dringlichsten Maßnahmen wurden erteilt, Anträge auf weitere Fördermittel laufen.
Bis das internationale Bildungszentrum für Handwerker Realität werden kann, muss noch viel investiert werden. Bürgermeister Reinz und seine Mitstreiter haben dabei immer das Ganze im Blick: "Ich könnte mir den Mainzer Hof gut als Übernachtungsstätte für Besucher des Bildungszentrums im Hessischen Hof vorstellen." Aber auch anderes sei denkbar. Wie immer es weitergeht, was die Rolle von Prince Charles anbelangt, sind sich die Beteiligten einig. "Ohne das britische Interesse hätte es nie solche Aufmerksamkeit und Mittelzuweisungen gegeben", sagt Bürgermeister Reinz. Und Alice Dinger ergänzt: "Das ist schon eine Verkettung von ziemlich glücklichen Umständen." Man könnte es fast märchenhaft nennen.