Wohnen in der Lärmschutzwand

Die Auswahl für "Hässliches in Hessen" ist natürlich Geschmacksache und erfolgt höchst subjektiv. Dass es das Gebäude der NHW im Cheruskerweg in die Sendung geschafft hat, können wir insoweit nachvollziehen, da es seit seinem Bau und in seiner Funktion sehr kontrovers diskutiert wird. Schon zu Beginn der 1970er erregte der Häuserblock in Frankfurt-Unterliederbach aufgrund seines "Modellcharakters" Aufsehen. Dies rührte vornehmlich aus seiner ungewöhnlichen Lage direkt an der Autobahn zwischen Frankfurt und Wiesbaden sowie aus der Funktion als "bewohnter Lärmschutzwand". Die A66 wird 1973 achtspurig ausgebaut, über 3.000 Fahrzeuge pro Stunde rollen von nun an der Siedlung in Unterliederbach vorbei. Die Lärm- und Abgasbelästigungen werden für die Bewohner immer unerträglicher. Für sie ist der Klotz, der Jahrzehnte später im hr-Beitrag als Bausünde vorgestellt wird, ein Segen – dient er doch als riesige Schallschutzwand. Der in Stahlbeton-Großtafelbauweise neu entwickelte Gebäudetyp an der Autobahn setzt sich aus acht sieben- und achtgeschossigen Einzelhäusern sowie einem Parkhaus zusammen und misst in der Längsausrichtung 350 Meter. Die zur Straße gelegene Nordseite ist relativ geschlossen und enthält nur kleine Fensteröffnungen für Küchen, Bäder und Essplätze der 286 Wohnungen. Es handelt sich dabei um Schallschutzkastenfenster mit Schutzfaktoren von 40 bis 45 Dezibel. Diese müssen die Mieter jedoch nicht zwingend öffnen, da es eine zentral gesteuerte Entlüftung gibt. Die eigentlichen Wohnräume und Loggien sind nach Süden ausgerichtet. Für die farbige Außengestaltung kann die Heimstätte den Künstler Ernst von Garnier gewinnen – der Grund warum das Quartier heute noch als Papageiensiedlung bezeichnet wird. Und wie Oliver Göbel als Mieter im Beitrag erzählt, wohnt sehr gerne in dem Klotz, den vielleicht einige Menschen hässlich finden.

Die Folge "Hässliches in Hessen" über den Cheruskerweg können Sie in der ARD-Mediathek ansehen.